In einer Zeit, in der man fast überall und rund um die Uhr mit seinem Mobilgerät wie selbstverständlich Musik hören kann, wird das kleine Wunder des Rundfunks kaum noch gewürdigt.
In der Zeit, als der Rundfunk aufkam (1922-23), war es für die Menschen etwas Erstaunliches und Aussergewöhnliches, dass man Musik hören konnte, ohne dass Musiker anwesend waren. Es gibt einige Berichte, dass die Leute, die in den Anfängen vor dem Radio sassen, nach dem Konzert den Musikern Beifall klatschten.
Die ursprüngliche Idee war gewesen, das Radio durch Werbung zu finanzieren – parteiliche Sendungen sollten keinen Platz bekommen! Als erfolgreiche eigene Gattung entwickelten sich Hörspiele, fast alles wurde live gesendet. Live-Reportagen wurden um 1930 populär. Die Radiogebühren wurden drastisch gesenkt, um (mit Erfolg) den Schwarzhörern zu begegnen.
Das Aufkommen des Radios war verbunden mit erwartungsvollen Perspektiven in Bezug auf das kulturelle Leben, als Gegengewicht zum Nationalismus und als Mittel der Völkerverständigung. Bei der Eröffnung der Internationalen Funkausstellung 1930 in Berlin konnte man Albert Einstein überreden, nach Deutschland zu kommen und eine Rede zu halten. Er fasste seine Zuversicht in Worte: »… ermöglicht Demokratie, …erweckt die Völker aus klebriger Stumpfheit… wird dazu beitragen, das Gefühl gegenseitiger Fremdheit auszutilgen …«
Diese Erwartungen wurden bereits wenige Jahre später auf das Schlimmste enttäuscht..
Wie schnell sich etwas Hoffnungsvolles ins Gegenteil verkehren kann, zeigt sich am Beispiel von Deutschland.
Die unheilvolle Entwicklung begann in Deutschland bereits 1926, der föderalistische gedachte Rundfunk verlor seine Unabhängigkeit, als durch eine neue Rundfunkverordnung der Rundfunk zentralisiert wurde. Es folgten Knebelverträge mit Zensur und Überwachungsausschüssen, die bereits in der Weimarer Zeit eingesetzt wurden. Der nächste Schritt unter die staatliche Kontrolle und in die Abhängigkeit war 1932 die Verstaatlichung aller Rundfunkhäuser. Liberale Kräfte wurden zum Rücktritt gezwungen, die Kontrolle durch die Machthabenden wurde durchgesetzt.
Die folgenden Ereignisse sind bekannt. Bereits 1933 triumphierte Goebbels: »Der Rundfunk gehört uns.«
Zurück nach Buenos Aires:
Der Rundfunk trug zur Verbreitung des Tango mehr bei als das teure Grammophon und die recht teuren Schallplatten. Eine Schallplatte kostete von 2.50 bis 6 Pesos (Reichardt gibt als Mittelwert 3 Pesos an), wobei das durchschnittliche Monatsgehalt eines Beamten bei etwa 150 Pesos lag.
In Buenos Aires soll es in der Epoca de Oro 25 Radiostationen gegeben haben, so viel wie in New York, eine Stadt, die dreimal grösser war (diese Zahlen für ca. 1935 und später). Die am meisten genannten Stationen waren Radio Splendid, Radio Belgrano, die erste Station, die bis spät in die Nacht sendete, und (ab 1935) Radio El Mundo. El Mundo war ein modern eingerichtetes Rundfunkhaus, das nach dem Vorbild von BBC London erbaut wurde. Das Radio sendete nicht nur auf Mittelwelle, sondern hatte auch einen zusätzlichen Kurzwellen-Sender, den man bei günstigen atmosphärischen Bedingungen von Zeit zu Zeit sogar in Europa empfangen konnte.
Das Radio erreichte ein viel grösseres Publikum nicht nur in der Hauptstadt, sondern im ganzen Land, und unterhielt die Hörer kostenlos über viele Stunden von morgens bis spätabends mit ihren Nachrichten, Hörspielen, Umfragen und Wettbewerben. Wie stark der Einfluss des Radios war, musste Carlos Gardel erfahren, der 1933, nach langem Auslandaufenthalt, bei seinem letzten öffentlichen Auftritt in Buenos Aires vor einem dünn gewordenen Publikum sang. Die in den Radios fortwährend auftretenden Sänger hatten einen grossen Teil seiner Anhängerschaft absorbiert.
Die Radiostationen waren auch in Buenos Aires nicht unabhängig und wurden von den jeweiligen Machthabern instrumentalisiert. Unliebsame Oppositionelle und in Ungnade Gefallene durften nicht gespielt werden, Mitarbeiter in der falschen Partei wurden mit Berufsverbot belegt (siehe auch → Beitrag 6). Der Komponist Ariel Ramirez: »The Peronist government bought out the [radio] station [I worked for] and demanded employees sign a statement of political loyalty. I was an independent and my father was an active radicalista, so I was out of a job.« (nach Castro S. 210-13) Ähnlich erging es → Osvaldo Pugliese.
Aber heute – ist es da nicht viel besser? Die Gegenfrage, gerade angesichts der Ereignisse ab März 2020 und der täglichen Dauerangst erzeugenden und offensichtlich einseitigen Nachrichtensendungen: Haben wir wirklich eine rationale und vor allem unabhängige Berichterstattung?
Diese Frage muss jeder wachen Geistes für sich selbst beantworten.
Ihre in einer Demokratie äusserst wichtige Aufgabe als unabhängige Vierte Macht haben die ›Alten Medien‹ meiner Meinung offenkundig nicht erfüllt und sind zu alimentierten Komplizen und Propagandisten von Regierungs- und Politikermeinungen verkommen.
Hoffnung macht, dass mit der technischen Entwicklung es (noch) einfacher geworden ist, Audiobeiträge zu erstellen und via Internet zu verbreiten. Deshalb hoffe ich, dass ein solches resourcensparsames (Internet-) Radio doch noch zu einer politikerunabhängigen Plattform werden wird – so, wie es ursprünglich angedacht war.
Träumen und hoffen darf man. Möglich wäre es.
(letzte Nachführung 11/2024)
Im ersten Teil spricht Reichsrundfunkkommissar Hans Bredow, ab ca. vierter Minute Albert Einstein. Seine Ausführungen über Demokratie und mehr gegenseitiges Verständnis ab etwa 6.40.
Hier könnt ihr hoffentlich bald die (werbefreien) Tangosendungen anhören,
die ich 2018 für einen Sender produziert hatte.
Jeweils eine Stunde lang.
Im ersten Teil manche Geschichte
und Hintergrundinformation.
'Sendungen’ über di Sarli, Pedro Laurenz und andere Orchester, einzelne Tangos werden besprochen, ergänzt mit kleinen Geschichten und Anekdoten rund um den Tango. Viel schöne Musik, alles tanzbar.
Audios folgen