Zitate – Verschiedene Gedanken zum Tango –

Gedanken 2020 zur Corona-Situation

Mitte Oktober ’20 gab es auf ARTE einen Film der Tänzerin Sylvia Camarda aus der Reihe MOVE. Trotz Schwangerschaft hatte sie den Impuls und das Bedürfnis, einen Film zu machen in Zeiten der Coronoia. Sie hat manche Frage aufgeworfen – was es mit uns macht, wenn der Tanz zur Dis-Tanz, wenn das menschliche Miteinander und die Harmonie zur Dis-Harmonie wird, wenn die Kommunikation und berührende Intensität eines Tanzes verboten wird, weil der Mitmensch zur potentiell todbringenden Gefahr erklärt und ihm (bewusst oder unbewusst) mit Angst begegnet wird? Wir wissen nicht, was diese durch die Medien ununterbrochen geschürte Angst und der dauernde Aufruf zur Distanzierung mit der Gesellschaft, mit uns und unserem Wesen auf die Dauer machen wird. Manch hässlich ‘Ereignisse‘ und Verhaltensweisen, die wir in unserer Gesellschaft für überwunden glaubten, mussten wir leider beobachten. 

Unter anderen befragte Camarda einen Psychologen. Und der Ausnahmetänzer und Choreograph Eric Gauthier schildert, welch verhängnisvollen Auswirkungen die verordneten Einschränkungen auf seine Tanz-Compagnie und den Tanz haben. Über die Distanz improvisierte Sylvia mit ihm spontan ein ›Corona-Tänzchen‹, eine kleine Tanz-Sequenz. Vielleicht will sich jemand diesen Film anschauen.

Hoffen wir, dass der uneingeschränkte Debattenraum, ohne den es keine funktionierende Demokratie und keinen gleichberechtigten Austausch geben kann, wieder hergestellt wird. Und dass irgendwann die Coronoia wissenschaftlich, nüchtern, d.h. in einem Umfeld ohne Angst, und vor allem offen und unabhängig aufgearbeitet wird. Das ist für unser Zusammenleben ausserordentlich wichtig. Geben wir die Hoffnung nicht auf, dass aus den ganzen Erschütterungen vielleicht doch manche Einsicht und hoffentlich eine auf die Dauer positive Entwicklung erwachsen wird. 

Bleiben wir optimistisch – das stärkt das Immunsystem. Behalten wir die Zuversicht, dass wir in absehbarer Zukunft, so wie wir es gewohnt sind, wieder miteinander tanzen können und so die erzeugte Spaltung überwinden können. 


Michael, im Corona-Herbst 2020 


»Die einzige Art, gegen die Pest zu kämpfen, ist die Ehrlichkeit.« (Albert Camus)

»Ich werde Ihre Meinung bis an mein Lebensende bekämpfen, aber ich werde mich mit allen Kräften dafür einsetzen, dass Sie sie haben und aussprechen dürfen.« (Voltaire)


Man sollte alle Tage wenigstens ein kleines Lied hören, ein gutes Gedicht lesen, ein treffliches Gemälde sehen und, wenn es möglich zu machen wäre, einige vernünftige Worte sprechen.

Johann Wolfgang von Goethe


Verloren sei uns der Tag, wo nicht ein Mal getanzt wurde! Und falsch heiße uns jede Wahrheit, bei der es nicht ein Gelächter gab!

Friedrich Nietzsche


Ich würde nur an einen Gott glauben, der zu tanzen verstünde.

Friedrich Nietzsche

Nietzsche sagte: »Ohne Musik wäre das Leben ein Irrtum.«  
    Recht hat er.


Und Schiller dichtete: »Es schwinden jedes Kummers Falten,
                                     so lang des Liedes Zauber walten.«



Ich lobe den Tanz,

denn er befreit den Menschen von der Schwere der Dinge,

bindet den Vereinzelten zu Gemeinschaft.

Ich lobe den Tanz,

der alles fordert und fördert,

Gesundheit und klaren Geist und eine beschwingte Seele.

Tanz ist Verwandlung des Raumes, der Zeit, des Menschen,

der dauernd in Gefahr ist, zu zerfallen:

ganz Hirn oder Wille oder Gefühl zu werden.

Der Tanz dagegen fordert den ganzen Menschen,

der in seiner Mitte verankert ist, der nicht besessen ist

von der Begehrlichkeit nach Menschen und Dingen 

und von der Dämonie der Verlassenheit im eigenen Ich.

Der Tanz fordert den befreiten, den schwingenden Menschen

im Gleichgewicht aller Kräfte.

Ich lobe den Tanz!

Oh Mensch, lerne tanzen,

sonst wissen die Engel im Himmel mit dir nichts anzufangen.

(dem Hl. Augustinus zugeschrieben)


La vida es una Milonga, y hay que saberla bailar... bailemos entonces.

– Das Leben ist eine Milonga, und man muss wissen, wie man sie tanzt... Lasst uns also tanzen.


Ein ähnlicher Gedanke aus anderem Umfeld: Der Tanz der Umstände, wie sie sind: Die Musik kannst du nicht wählen, aber du kannst entscheiden, wie du nach ihr tanzt. 

Jack Kornfield


Tango kannst du nur tanzen, wenn Du ihn wenigstens ein bisschen liebst. Und die Liebe ändert dein Leben immer auf die eine oder andere Weise. 

Veronica Toumanova

Nothing improves your dancing so much as a good feeling for the special qualities of tango music. 

Frei übersetzt:  Nichts verbessert dein Tanzen so sehr wie ein gutes Verständnis für die besonderen Qualitäten der Tango-Musik.


To dance thinking is the least advisable way, it restricts to the maximum every creative impulse. Dance is emotion, senses, instinct. 

Beim Tanzen zu denken ist der am wenigsten ratsame Weg - es erschwert auf das Äußerste jeden kreativen Impuls. Tanzen ist Gefühl, Empfindung, Instinkt.

(Pablo Veron in einem Interview - gefunden bei  www.eltangauta.com  Link nicht mehr gültig)


‍    O. Pugliese: »Sostengo que es necesario saber lo que viene de atrás, para marchar adelante. — Ich beharre darauf, dass es notwendig ist zu wissen, was aus der Vergangenheit kommt, um vorwärts zu gehen.« 



Frage: Was zeichnet einen guten Tangotänzer aus?

Carlos Gavito: Ein guter Tangotänzer ist der, der der Musik zuhört.

Frage: Ist das das einzige Kriterium?

Carlos Gavito: Ja. Wir tanzen die Musik, keine Schritte. Jeder, der vorgibt gut zu tanzen, denkt niemals über die Schritte nach, die er machen wird. Er kümmert sich darum, dass er der Musik folgt. Sehen Sie, wir sind Maler, wir malen die Musik mit unseren Füßen.

‍    A good dancer is one who listens to the music... We dance the music not the steps. Anyone who aspires to dance never thinks about what he is going to do. What he cares about is that he follows the music. You see, we are painters. We paint the music with our feet. 


Die Stille tanzen: 

The secret of tango is in this moment of improvisation that happens between step and step. It is to make the impossible thing possible: to dance silence. (Carlos Gavito



‍    I think those who say that you can’t tango if you are not Argentine are mistaken. Tango was an immigrant music... so it does not have a nationality. It’s only passport is feeling. (Carlos Gavito)

‍    Ich denke, dass die sich irren, die sagen, dass man nicht wirklich Tango tanzen könne, wenn man nicht Argentinier sei. Tango war die Musik der Einwanderer... deshalb hat er keine Nationalität. Der einzige Schlüssel dazu ist Gefühl. 


‍    Es gibt Frauen, die lassen Dich leiden, weil sie für sich tanzen. Sie achten nicht auf die Führung.                 
   
http://tangoplauderei.blogspot.ch/2012/12/Interview-2-Carlos-Gavito-Dez-2004.html   Englisch: https://web.ics.purdue.edu/~tango/Articles/Gavito.pdf



Carlos Gavito über Texte und Ganchos

Frage: Wer kein Muttersprachler ist, versteht die Texte der Tangos oft nicht. Glauben Sie, dass man etwas Wichtiges versäumt, wenn man den Sinn des Liedes nicht kennt? 

Carlos Gavito: Schauen Sie, es ist im Grunde genommen sehr einfach. Als ich ein kleiner Junge war, hörte ich Bill Haley, obwohl ich kein Englisch konnte. Trotzdem erkannte ich, ob das Lied fröhlich, traurig oder romantisch war. Der Text im Tango und auch die Stimme sind sehr im Vordergrund, und man kann klar erkennen, ob es sich um Romantik, Sehnsucht oder Traurigkeit handelt. Das kann man fühlen, auch wenn man nicht jedes Wort des Textes versteht. Die Stimmung des Liedes der Musik ist wichtig. Ich kann zum Beispiel überhaupt nicht verstehen, wie jemand, der zur romantischen Musik von Miguel Caló tanzt, plötzlich Ganchos in seinen Tango einbaut, während der Tango von der großen Liebe erzählt. Ein Gancho ist immer ein aggressives Element, wie sollte eine Tanzpartnerin da zustimmend folgen, wenn es sich bei der Musik um Liebe handelt? 



‍    As the follower, my focus is on my partner's chest. I'm responding to the energy and the intention he projects with that part of his body. His focus is behind me, steering me safely around traffic in the line of dance. I have to surrender to him and trust that he is making the right choices, because he can see what I cannot. My job is just to take the next step. Quite literally, I put my head in his heart.  

‍    Als Folgende liegt mein Fokus auf meines Partners Brust. Ich reagiere auf die Energie und Absicht, die er mit diesem Teil seines Körpers aussendet. Sein Augenmerk ist hinter mir, er steuert mich sicher durch die anderen Tanzpaare in der Tanzlinie. Ich muss mich ihm hingeben und ihm vertrauen, dass er die richtigen Entscheidungen trifft, weil er sieht, was ich nicht sehen kann. Meine Aufgabe ist, einfach nur den nächsten Schritt zu tun. Ich lege – ziemlich wörtlich – meinen Kopf auf sein Herz.

(Ria Sharon - www.verytangostore.com/quotes.html)


‍    Ein Tanz, der aus dem Unterschied seine Kraft schöpft. Ein Tanz mit fliessenden Grenzen. Es ist ein Tanz der Kommunikation – das Wichtigste ist, sich immer zugewandt zu sein.

Nur in der Einheit kann der Tango gelingen. Er zeigt das gesunde Maskuline und das gesunde Feminine. Der Tango hat nichts mit Unterordnung zu tun. Die Geführte ist nicht unterwürfig. Im Gegenteil, sie ist wach, sie ist aufrecht, sie ist da. Der Tanz kann nicht funktionieren, wenn sie nicht ganz und gar da ist, wenn sie nicht wach ist. Es ist gibt da keine aggressive Macht.

‍                                                                                                                              (die Tänzerin Sylvia Camarda im Film Move)


»What we need are more people with sensitivity and fewer exhibitionists.«  (Osvaldo Natucci)


»El tango no se ha hecho para cantar lo que se tiene, sino lo que se ha perdido. — Der Tango ist nicht geschaffen, um zu besingen, was wir haben, sondern was wir verloren haben.«    (José Gobello)

Carlos Gavito & Marcela Duran
Tanzende Füsse

Persönliches  - die schönsten Tangoerlebnisse

Irgendwo in der norddeutschen Pampa, in der Nähe der ehemaligen Zonengrenze, irgendwo in der abgelegenen grünen Weite ein Weiler mit einem grossen Ballsaal. Mit meiner Tanzpartnerin sind wir dort für einen Kurs mit Eric. Jeden Abend tanzen wir.

Am dritten oder vierten Abend getraue ich mich, eine Führende aufzufordern, die mit ihrer Tanzpartnerin da ist. Es stellt sich heraus, dass sie einen ‘Fluchtreflex‘ hat, die Nähe scheuend, auch wenn diese nur kurzzeitig ist. Es macht nicht wirklich Spass, der Rapport, der Kontakt, das harmonische Zusammenspiel kommt nicht zustande. 

Später am Abend fordere ich ihre Tanzpartnerin auf, ein eher unscheinbares Wesen, aber es sieht gut aus, wie sie tanzt. Die Tango-Umarmung, die ersten Takte Musik. Ich merke sofort: sie lässt sich federleicht führen! Bereits nach zwei-drei Schritten weiss ich innerlich, dass es ein schönes Tanzen werden wird. Kein Aufwand zu führen, sie muss nicht ‘folgen‘, es tanzt einfach. Wir kommen in einen Tanz-Rausch. In dieser Leichtigkeit des Tanzens – ich bemerke es wie nebenbei – entstehen von sich aus neue Kombinationen, die ich vorher noch nie so getanzt habe, die einfach geschehen, ohne dass jemand es plant. Da ist kein 'Führender', keine 'Geführte' mehr. 

›Aber wer tanzt, wer ist der Schöpfer, wenn Du nicht mehr führst?‹ werde ich später gefragt. Die von Komponist und Musiker geschaffene Tango-Musik – Sie ist der Meister, der uns führt und verzaubert, wir sind bloss wie Pinsel in der Hand dieses Meisters, der uns bezaubernde Kalligraphien der Vergänglichkeit auf den Boden zeichnen lässt, die man nur in diesem Augenblick sehen kann. Ein wunderbarer Höhepunkt dieses Abends, ich fühle mich reich beschenkt.

Am nächsten Abend fordere ich eine Frau auf, die mit ihrem Mann da ist. Ich bin zögerlich, mit Leuten zu tanzen, die paarweise einen Kurs besuchen und zumeist zusammenkleben; oft stecken sie, dem Vertrauten verhaftet, in den Furchen der gewohnten Erwartung fest. Als ich zu ihrem Platz hingehe, steht sie erwartungsfroh auf, und ich höre so etwas wie »Endlich!« Ich gebe zu, diese spontane Äusserung tut meinem immer wieder zweifelnden Ego gut.

Die Musik beginnt, nach wenigen Sekunden nimmt etwas in mir mit freudigem Erstaunen zur Kenntnis: ›Das wird mindestens so gut wie gestern!!‹ Auch hier wieder das Erleben, dass ich nicht mehr führen muss, weil sie ein Vertrauen wie Wasser hat. Es braucht keinen Aufwand mehr, die Absicht allein reicht schon, im Einklang die gerade gehörte Musik zu zeichnen. Niemand ‘führt‘, weil niemand geführt werden muss. Und trotzdem – Neues entsteht, beide bringen etwas ein, in absichtsloser, gemeinsamer Kreativität. Es tanzt. Komplizierte Figuren sind unnötig, die braucht es nicht für dieses Erleben der Intensität. Wir schweben im Tanzrausch über die Tanzfläche – jede Sekunde, jede kleine Überraschung dieser so ideenreichen, genialen Tango-Musik geniessend.


Wenn man solch eine Köstlichkeit geschmeckt hat, will man es wieder erleben. Leider leider geschieht ein solches gemeinsames Sich-Verlieren in Musik und Tanz nicht allzu oft. Aber wenn man es einmal erlebt hat – unwillkürlich sehnt man sich danach ... 

Wenn alles zusammen passt wird dieses Geschenk wieder geschehen. Andere haben es auch erlebt, andere sind auch auf der Suche! Vielleicht finden wir einander – irgendwo – Du und ich…



‍       Carlos Gavito: Wir tanzen die Musik, keine Schritte. .. Sehen Sie, wir sind Maler, wir malen die Musik mit unseren Füßen. – We dance the music not the steps. .. You see, we are painters. We paint the music with our feet.

Gedanken und Texte zum Tango

Der Tango ist ein äusserst freies Umfeld, das dich zu nichts verpflichtet, nicht einmal dazu, seinen nur grob festgelegten Regeln zu folgen. Er ist keine Institution, keine Religion und keine Organisation. .. Diese Freiheit ist es auch, die den Tango so anziehend macht und so reich in seinen verschiedenen Ausdrucksformen. Für mich gehen alle Versuche, den Tango auf einen bestimmten Stil oder auf eine bestimmte Art der Bewegung zu begrenzen, gerade gegen diesen besonderen Geist des Tangos. Tango verändert das Leben genau aus diesem Grund: er bringt dich dazu, dass du dem den Vorzug gibst, was dir persönlich lieber ist. 

Wenn du im Tango zulässt, dass du dem nachgehst, was dir Freude macht, wird es dir immer schwerer fallen, dich in deinem übrigen Leben mit dem abzufinden, was dir keine Freude macht. Und so wirst du letztendlich einen unbefriedigenden Job oder eine festgefahrene Beziehung hinter dir lassen. Du fängst an, dich von den Erwartungen anderer zu lösen und stattdessen selbst zu entscheiden, wofür du deine Energie verwendest.

(nach einem Blog-Eintrag von Veronica Toumanova www.verotango.com/p/essays.html).


Soweit Veronica in ihrem Blog. Ich möchte noch folgenden Gedanken hinzufügen: In vielen gesellschaftlichen Lebensbereichen  müssen wir mit Leuten auskommen, die wir nicht besonders mögen, oder sogar unausstehlich finden. Z.B. im Beruf – und jedem von uns werden spontan noch andere Bereiche einfallen. Das ist, als wollte man Öl mit Wasser mischen. Beim Tango-Tanzen finden auf natürliche Weise Leute zusammen, die sich grundlegend sympathisch finden. Das ist schön. Nichts zwingt uns, mit Leuten zu tanzen, die wir nicht ausstehen können. Es ist gut, dass wir diese Freiheit haben, dass wir uns hier nicht verbiegen müssen. Und in einem solchen Umfeld der grundsätzlichen Sympathie gehen wir auf selbstverständliche Weise, ohne äussere Forderung, respektvoll miteinander um.


         

    Michael KI                                letzte Ergänzung 06/2024